Präsentation und Zusammenfassung der zentralen Gedanken des Vortrags. Am Ende der Seite finden Sie beide Dateien zum Download.
1. Die Gabe ist eine Sache (oder eine Geste, ein Blick, ein Wort …), die im Austausch zwischen Personen oder Gruppen eine besondere Qualität gewinnt, weil sie nach freier Entscheidung, ohne moralischen Druck oder Nutzenkalkül gegeben wird. Insoweit wird die Gabe als etwas Unbedingtes gesehen. Aber sie ist eingebunden in komplexe Beziehungen und Strukturen. Deshalb wird sie als „bedingte Unbedingtheit“ bezeichnet. Indem die Gabe die innere Kraft entwickelt, sie zu erwidern, ist sie ein Element des gewaltfreien Zusammenlebens trotz unterschiedlicher Interessen und in Konflikten. Dies macht sie besonders wertvoll.
2. Gaben sind selbstverständlicher Bestandteil unseres Alltags, in dem wir schenken, einladen, loben, anerkennen oder zugetan sind. Wir kennen auch die Abfolge von Nehmen – geben – wiederholen, die Marcel Mauss als Bestandteil der Austauschprozesse in archaischen Gesellschaften entdeckt hat. In modernen Gesellschaften sind die Funktionen dieser Abfolge in Teilbereiche der Gesellschaft wie das Recht, die Wirtschaft, die Religion … übergegangen und dort stabil institutionalisiert. Der Austausch von Geschenken dagegen ist weitgehend auf überschaubare Lebenszusammenhänge begrenzt. Es war eine zentrale Fragestellung der Soziologie (Tönnies, Parsons usw.), die Differenzierung dieser Sphären zu rekonstruieren. Deshalb ist es eine eigenständige Aufgabe geworden, Formen des Gabentausches in Gesellschaften, und nicht nur in Gemeinschaften aufzufinden oder für Gesellschaften zu begründen.
3. Die Entdeckung von Marcel Mauss hat insbesondere in den französischen Sozialwissenschaften eine intensive Weiterentwicklung seiner Gedanken hervorgerufen, die dann in der „Bewegung des Anti-Utilitarismus in den Sozialwissenschaften“, die französische Bezeichnung wird abgekürzt mit M.A.U.S.S. – „Mouvement Anti-Utilitariste dans les Sciences Sociales“, organisiert wurde und die insbesondere in einer eigenen Zeitschrift die Theorie der Gabe diskutiert und konkretisiert.
4. Die Abfolge von Nehmen – geben – wiederholen wird dabei erweitert (bitten-nehmen-geben-erwidern), als symbolischer Zyklus bezeichnet und mit dem Gegenteil des diabolischen Zyklus: Ignorieren – Nehmen – Ablehnen – Behalten kontrastiert. Die Gabe kann so als Inbegriff von „Konvivialität“ verstanden werden.
5. Eine erhebliche Erweiterung dieser so evidenten Beobachtungen und Analysen des menschlichen Zusammenlebens wurde im „Konvivialismus“ vorgenommen.
Die gegenwärtigen Bedrohungen menschlichen Miteinanders werden aufgegriffen: „Die globalen Probleme des Klimawandels, der Armut, der sozialen Ungleichheit oder der Finanzkrise erfordern ein Umdenken und veränderte Formen des Zusammenlebens. Viele Bewegungen, Initiativen und Gruppierungen suchen aktuell schon nach alternativen Wegen.“ Das Konzept der Konvivialität kann diese Analysen und Bewegungen zusammenfassen und in einer relativ einheitlichen Philosophie ordnen. Der Konvivialismus wird zu einer „Groß-Erzählung“, die in den Krisen der Gegenwart Orientierung geben will. In zwei Manifesten wird diese Absicht entwickelt und begründet.
6. Im Konvivialismus werden also zwei Erweiterungen der Gaben-Theorie vorgenommen. Einmal wird die Gabe als Prinzip auch gesellschaftlichen Vorgängen unterlegt und in ihnen untersucht (vor allem in den beiden Büchern von Alain Caillé und Frank Adloff) und sie wird als politische Philosophie ausgearbeitet, die die zentralen Bestimmungen der Humanität aufzunehmen verspricht. Die Bekämpfung der Hybris als der Grenzenlosigkeit des Verlangens wird zum Inbegriff der Menschheitsaufgaben der Gegenwart. Der Anspruch, damit eine Zusammenfassung und Integration vielfältiger Bewegungen zu leisten, wird vor allem Gegenstand der kritischen Diskussion.
7. Dabei wird deutlich, dass der Verwirklichung konvivialistischer Prinzipien viele Realitäten entgegenstehen. Das ist natürlich keine Überraschung, da der Konvivialismus in der Auseinandersetzung mit diesen Gegebenheiten entstanden ist und entsteht. So stehen der Teilhabe von zugewanderten Menschen viele Abwehrmechanismen wie Ethnozentrismus, Nationalismus oder Rassismus entgegen. Im Vortrag wird unter Rückgriff auf eine utilitaristische Integrationstheorie, die Integration als Assimilation versteht, versucht aufzuzeigen, dass Teilhabe erst erwartet werden kann, wenn den Migranten tatsächlich ein Identifikationsgeschenk entgegengebracht wird, das die Form der Gabe annimmt und einen symbolischen Zyklus des Miteinanders einleitet. Insoweit war „Willkommenskultur“ ein Hinweis auf das, was Not tut.
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