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Die Tätigkeit der Ehrenamtlichen

Die ÖFO ist als ehrenamtliches Projekt entstanden und wird heute noch von ehrenamtlichen geleitet. Der „Verein“ mit seinem Vorstand ist ein bewährter Rahmen für soziale Projekte. Aber in der ÖFO arbeiten nach wie vor viele Personen freiwillig engagiert mit Kindern und Jugendlichen, Frauen und Männern, Familien und Gruppen. Die Vielfalt der Formen ist auch Teil der bunten Bürgergesellschaft. Mit großem Vergnügen können wir einen Teil davon darstellen.




Die Tätigkeit der freiwillig Engagierten


Die Tätigkeit der freiwillig Engagierten in der Arbeit mit geflüchteten Menschen ist vielfältig. Die Erfahrungen der Ehrenamtlichen, wie sie genannt werden, weil das „Ehrenamt“ mehr nach gesellschaftlicher und politischer Anerkennung schmeckt, sind noch vielfältiger. In den durchaus zahlreich vorliegenden Studien zum Ehrenamt werden die Formen und die Erfahrungen in der Regel aber auf Durchschnittswerte reduziert, die wiederum nur für die strategischen Interessen der Auftraggeber von Studien interessant sind. Das Verständnis der konkreten Tätigkeit wird dadurch nicht erleichtert.

Die konkreten Erfahrungen sind immer an die beteiligten Personen und ihre Biografie, an die jeweilige Lebenssituation und an die Dynamik des Miteinanderumgehens gebunden. Um zu verstehen, was es mit einem ehrenamtlichen Engagement für geflüchtete Menschen auf sich hat, sind diese Erfahrungen unerlässlich. Sie stellen keine Wirklichkeitsbeschreibung dar, sondern reflektierte Erlebnisse in der Ganzheit ihrer emotionalen und kognitiven Komplexität. Sie sind subjektiv und spiegeln das, was als beabsichtigte Handlung geschehen ist. Für ein breiteres Fallverstehen sind natürlich auch immer die Darstellungen „der anderen Seite“, nämlich der Person, die im Engagement unterstützt wird, wichtig. Aber selbst in der Professionsforschung von Sozialpädagogik und Sozialarbeit sind solche Untersuchungen oder Dokumentationen der tatsächlichen Wechselseitigkeit aus den beiden beteiligten Perspektiven heraus eine extreme Ausnahme. So ist es erträglich, dass auch hier nur die eine Seite zu Wort kommt.

Aber in diesen Erfahrungen stecken nicht nur Elemente der Wirklichkeitsbeschreibung, sondern auch Reflexionen und Alltagsanalysen im Horizont der jeweils eigenen Lebensgeschichte. Genau dieser für jede Biografie begrenzende Horizont ist auch der Horizont der Tätigkeit selbst und der Sinnzusammenhang, in dem die Unterstützungstätigkeit für die Unterstützten erlebbar wird. Deshalb sind die reflektierten Erfahrungen für die Engagierten selbst und für die unterstützten Personen das Material, aus dem man wieder ein Stück weiter lernen kann. Deshalb macht es Sinn, Erfahrungen aufzuschreiben. Sie sind nicht „aus der Luft gegriffen“ und umso lehrender, je mehr es auch gelingt, die sachlichen Bedingungen der Handlungssituationen zu berücksichtigen.

Freiwillig Engagierte handeln eigenverantwortlich. Sie setzen in diesem Handeln ihre Lebenserfahrung ein und reflektieren das Handeln in ihrer Lebenswelt. Zugleich bemühen sie sich, gelegentlich oder regelmäßig um Erfahrungsaustausch mit anderen Ehrenamtlichen. Diejenigen, die ein solches Angebot organisieren, sind nicht selten traurig, dass nur wenige teilnehmen; dies ist aber auch ein Hinweis auf die begrenzte Zeit für ein Engagement, das über Beruf und Familienarbeit hinausgeht. Wichtig ist, dass in kritischen Situationen und bei offenen Fragen der Kontakt zu den Organisatoren des Angebots problemlos möglich ist – und genutzt wird.

Die Tätigkeit der Ehrenamtlichen orientiert sich natürlich auch an den jeweiligen Situationen und Dynamiken, in die ihre Adressaten verwickelt sind. Deshalb haben die Prozesse der Begleitung und Unterstützung von geflüchteten Personen sehr unterschiedliche Verlaufskurven. Manchmal ist der Kontakt locker, manchmal verdichtet er sich zur Lösung von Problemen. Teilweise gehen die engagierten Personen langjährige Betreuungsverhältnisse ein, in denen die Bindung zu einem wichtigen Wirkungselement wird. Teilweise bleibt die Unterstützung auf den sachlichen Gehalt begrenzt. Manchmal werden Einzelpersonen begleitet, manchmal Familien und Verwandtschaftsbeziehungen. Alle Formen sind möglich und bedürfen der Rechtfertigung. Gerade die Fokussierung auf ausgewählte Aspekte der Lebenswelt macht den Unterschied der verschiedenen Formen aus.

Die Mentoren und Mentorinnen begleiten einen Sozialisationsprozess und helfen an konkreten Schwellen und Barrieren. Die zweite hier dokumentierte Tätigkeit orientiert sich an den komplexen Problemlagen von Familien und versucht, „ganzheitlich“, also mit Blick auf die Bedürfnisse aller Familienmitglieder und ihr gutes Zusammenleben, Probleme zu lösen. Die dritte Form ist die anspruchsvollste Form, denn eine Person übernimmt eine verbindliche und sie bindende Verantwortung für ein gelingendes Aufwachsen von Kindern zweier Familien für eine längere Zeit.

Das Besondere der Erfahrungsberichte ist der Realitätssinn, der sie strukturiert. Kein Problem wird wegdefiniert und kein Zweifel an der eigenen Tätigkeit verschwiegen. Grenzen der Pädagogik werden ebenso thematisiert wie ihre Wirkmächtigkeit. Für die Unterstützten ist die Erfahrung der freundschaftlichen Zuwendung elementar, für die Unterstützenden die dankbare Resonanz auf ihr Angebot. Die Sinnhaftigkeit des gemeinsamen Tuns ist die wichtigste, und in dieser Gesellschaft so wertvolle Erfahrung.


Begleitung junger Flüchtlinge

Zunächst werden hier Berichte aus der Erfahrung von Mentor*innen im Rahmen von MentoringMainz wiedergegeben. MentoringMainz besteht unter dem Dach des Kinderschutzbundes Mainz und widmet sich insbesondere Unbegleiteten Minderjährigen Flüchtlingen. MentoringMainz hat ein offenes Konzept des Mentorings, das sich situationsspezifisch an den Bedürfnissen junger Flüchtlinge und an den Erfahrungen und Kenntnissen der Mentor*innen orientiert. Dadurch kann dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die jungen Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern, zu verschiedenen Zeitpunkten und mit ganz unterschiedlichen Fluchtgeschichten nach Deutschland gekommen sind. Hinter der Kategorie „Flüchtling“ oder der spezifischeren Kategorie „Unbegleiteter Minderjähriger Flüchtling“ steckt die ganze Verschiedenheit von Gesellschaften, Traditionen, Sozialen Schichten und Familienzusammenhängen. Diese Vielfalt erfordert zunächst keine Kategorisierung, sondern Offenheit und Neugier, im weiteren Verlauf Stetigkeit und Geduld.

Mentoring ist ein Konzept, in dem die Erfahrungen und Kenntnisse der engagierten Ehrenamtlichen im Vordergrund stehen. Während beispielsweise Mentoring in der Berufswelt sich auf die berufliche Förderung durch berufserfahrene Personen konzentriert, geht es bei der Begleitung von jungen Flüchtlingen um eine thematisch nicht eingegrenzte Tätigkeit. Sie kann als nachholende Sozialisation von Novizen in der deutschen Gesellschaft bezeichnet werden. Um diese mögliche Breite etwas handhabbar zu machen, fokussieren sich die Tätigkeiten in der Regel auf die erfolgreiche Bewältigung von Bildungs- und Sprachanforderungen, auf den Zugang zu Ausbildung und Arbeit und dabei auf die Organisationen, die für die Integration junger Flüchtlinge relevant sind. Vor allem gehören dazu Verwaltungen und Institutionen, die über Chancen entscheiden. Aber diese Tätigkeiten bleiben nicht äußerlich – sie schließen die kommunikative Verständigung über das, was geschieht, ein.

In der persönlichen Ausformung dieser begleitenden Unterstützung ergeben sich viele Varianten. Deshalb sind die folgenden Berichte ganz unterschiedlich. Sie bilden auch nur einen Ausschnitt aus bestimmten Verlaufsformen der Integration; kein Fall bildet alles ab.


Ich sehe G. weiterhin einmal die Woche zur schulischen Unterstützung und zum Austausch. Er entwickelt sich sehr positiv, die Deutschkenntnisse bessern sich zunehmend und im Kontakt wird er immer lockerer und fröhlicher.

Auch die Rückmeldungen über sein Praktikum verliefen sehr positiv. In der Schule sieht es so aus, als ob er seinen Hauptschulabschluss tatsächlich bekommt, und ich glaube, dass ihm das richtig Auftrieb gibt. Er bewirbt sich z.Z. auf einen Ausbildungsplatz. Leider hat die Werkstatt, in der er das Praktikum absolviert hat und in der er dann auch seine Ausbildung machen wollte, ihren Ausbildungsplatz schon vergeben. Ihm wurde aber nahegelegt, sich trotzdem unbedingt zu bewerben.

In dieser Situation werde ich meine Tätigkeit vor allem auf die Frage der Ausbildung konzentrieren und ihn bei der Suche unterstützen.


Ich bin immer noch gerne dabei, auch wenn ich aufgrund der noch bestehenden Berufstätigkeit mich zeitlich nicht so engagieren kann, wie ich gerne würde. Ich schreibe den Bericht in einer Zeit, da viel über die Mordfälle gesprochen wird, die von jungen Flüchtlingen verübt wurden. Da tauchen Probleme auf, die eine intensive Bearbeitung erforderlich machen. Aber umso wichtiger sind die allgemeinen Aktivitäten der Begleitung und der Betreuung. Deshalb finde ich unsere Arbeit auch so sinnvoll und bin froh wenigstens einen kleinen Beitrag zu leisten.


Meinen Mentee aus W., um den sich auch die Lehrerin kümmert, konnten wir über eine Einstiegsqualifizierung bei einer Firma für Heizungsbau und Elektroinstallation vermitteln. Danach hat ihm die Firma sogar einen Ausbildungsvertrag angeboten, der auch abgeschlossen wurde. Nach wenigen Monaten hat der junge Mann jedoch leider die Ausbildung abgebrochen.

Gründe dafür gab es einige:

- Die Anforderungen in der Berufsschule waren sehr hoch und für ihn nicht zu bewältigen.

- Die Unterbringung in der Flüchtlingsunterkunft in W. (dort leben noch 500 Menschen in einem Gebäude) bietet keine Rückzugsmöglichkeiten; an Nachtruhe ist nicht zu denken.

- Die meisten Bewohner gehen keiner Beschäftigung nach, sodass der junge Mann dort wohl auch sehr abgelenkt war und als Frühaufsteher aufgefallen ist.

Schließlich ist ein Umstand besonders bemerkenswert: Er wollte Geld verdienen, um der Mutter und den beiden jüngeren Brüdern in Afghanistan Geld zu schicken.

Inzwischen hat er eine Beschäftigung als Hilfskraft bei einer Logistikfirma und fühlt sich soweit wohl, denn er kann die kurzfristigen Ziele erreichen.

Das größte Problem stellt derzeit die Suche nach einer kleinen Wohnung dar, die er dann mit seinem jüngeren Bruder, der den gleichen Weg genommen hat, bewohnen könnte.

Die Stadt W. verlangt gegenwärtig von den beiden jungen Flüchtlingen, die zusammen mit einem weiteren Mann in einem Dreibettzimmer wohnen, pro Kopf weit mehr als 300€.


A. 18 Jahre, stammt aus Afghanistan und lebt in einer Gemeinschaftsunterkunft. Er musste die Wohngruppe der Jugendhilfe verlassen - aber trotzdem ein netter Mensch, der fleißig lernt. Der Kontakt mit A. ist es ein langsames Herantasten gewesen. Sehr konstruktiv empfand ich die Zusammenarbeit mit seinen beiden Betreuerinnen aus der Jugendhilfe. A. habe ich immer als einen sympathischen, freundlichen Menschen wahrgenommen, für sein Alter eher kindlich und er erschien mir wenig belastbar in einer zerbrechlichen Balance zwischen reaktivem Zorn und Apathie. Seine Offenheit machte vieles möglich, so dass ich angeregt war, mir Gedanken um gemeinsame Aktivitäten zu machen. Als das Wichtigste habe ich nach kurzer Zeit die Wiederaufnahme einer Therapie erkannt. Frühere Therapiestunden waren nach Einschätzung der Jugendhilfe sehr gut für ihn, jedoch steht er aufgrund unglücklicher Umstände erst auf der Warteliste für einen neuen Therapieplatz. Er wirkte auf mich meist kraftlos, antriebsarm und er hat keine Energie etwas für die Verbesserung seiner Sprachkenntnisse zu tun

Noch dringlicher ist allerdings die Wohnungssuche. Er kann es in der Gemeinschaftsunterkunft nicht mehr aushalten, denn seine Zimmernachbarn trinken in der Nacht bis zum frühen Morgen und er kommt nicht zur Ruhe. A. ist ziemlich fertig und hat keine Geduld mehr. Die Wohnsituation scheint zu eskalieren. Deshalb versuche ich mit vielen Telefonanrufen eine Wohnung zu finden. Die Unterstützung durch die Mitarbeiterinnen der Jugendhilfe und wohl auch mein Interesse stabilisieren ihn und ermöglichen einen vorläufigen Verbleib in der Gemeinschaftsunterkunft.

A. zeigt gelegentlich Interesse - ich treffe mich entsprechend sporadisch mit ihm. Mein Eindruck aber ist, dass A. einen Mann als Mentor an seiner Seite haben sollte. (Nach einer Phase des Auseinanderlebens hat die Mentorin wieder Kontakt zu A. aufgebaut). Letzte Woche fragte ich A. per SMS, wie es ihm gehe. Daraufhin traf ich ihn am Freitag in seiner Schule. Es war wie bei den vorherigen Treffen: Er hat großen Redebedarf, Interesse an genauerem Verstehen, Üben, Lesen etc nicht. Er immunisiert seine Vorstellungen von Realität; stimmungsmäßig ging es ihm aber gut.



H. wird im Sommer ihren Hauptschulabschluss machen und danach voraussichtlich an die X-Schule wechseln; dies wurde von ihrer Lehrerin initiiert. Sie möchte gerne zum jetzigen Zeitpunkt zusätzlich Englisch lernen. Ihre Betreuerin im Jobcenter will sich darum kümmern (nachdem sie dies zunächst ablehnte und H. sie wohl mit Hartnäckigkeit überzeugte!) Wo gibt es ein entsprechendes Angebot, wenn es mit dem Jobcenter nicht klappt? …

Mir selbst wird immer wieder bewusst, aus welch fundamental unterschiedlichen Welten wir kommen, was oft in banalen zwischenmenschlichen Situationen offenkundig wird. Ich empfinde den Kontakt als spannend, bereichernd und oft lehrreich.


M. H. lebt in der Wohngruppe der Jugendhilfe im Stadtteil M. Ich bin mit ihm und seiner Betreuerin in sehr gutem Kontakt. Aktuell besprechen wir mit ihm und der Arbeitsagentur, wie es ab Sommer für ihn weitergeht. Die Schule endet und er sollte eine Ausbildung machen. Entschuldigen Sie bitte diesen kurzen Bericht, ich bin z. Z. beruflich sehr stark beansprucht. Die Jugendhilfeorganisation plant gerade für meinen Schützling intensive Nachhilfe in Deutsch; jedoch soll auch Mathematik dazukommen. Ab Sommer soll er bei der Baufirma K. eine Einstiegsqualifikation machen. …

Auch bei mir ist es so, dass es immer mal wieder Pausen gibt. M. hat in seiner Einrichtung nicht nur tolle Zeiten. Ich bin mit der Betreuung seitens der Jugendhilfeorganisation nicht wirklich zufrieden. M. hat jetzt aber einen Vertrag für die Einstiegsqualifizierung zum Maurer bei der renommierten Firma K. tatsächlich erhalten. Ab Sommer geht es los. Bis dahin ist eher Leerlauf; es gibt nur Nachhilfe Deutsch und etwas Mathematik.

Ich habe mittlerweile mit M. verabredet, dass er sich meldet, wenn er sich treffen will. Zwischenzeitlich hatte ich ihn etwas zu viel zu gemeinsamen Besprechungen gedrängt.



Inzwischen habe ich mich bereits dreimal mit R. getroffen. Sein respektvoller Umgang mir, aber auch allen Betreuern gegenüber, ist bemerkenswert. Es sind oft die Kleinigkeiten, die auffallen. In einem geschlossenen Raum zieht er seine Mütze ab, er schenkt erst den anderen und dann sich selbst Wasser ein und hält jedem beim Verlassen eines Raumes die Türe auf. R. geht es gut, ich habe ihn zuletzt vor 3 Wochen gesehen, wir schreiben allerdings regelmäßig und haben uns auch schon für die Ferien ein paar Ausflugsziele vorgenommen. Wenn er Hilfe benötigt, nimmt er Kontakt auf. Da ich beruflich eingespannt bin, gestalten wir die Treffen flexibel. Nach Abschluss der Schule wird er in M.M. eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker beginnen, um seine Zukunft selbst gestalten zu können. Er ist hochmotiviert eine Ausbildung abzuschließen. Als Ausgleich zur Schule übt R. viel Sport aus; das lenke ihn ab und gebe ihm Kraft und Bestätigung. Wir hoffen beide, dass er in seiner Ausbildung sprachlich zurechtkommen wird.




Begleitung einer Familie


Der folgende Text hat sich im Gespräch und aus einem Austausch von Mails ergeben. Die ehrenamtlich engagierte Frau geht aktiv auf Hilfe suchende Personen zu und entwickelt jeweils eine begleitende Praxis, die ganz auf die Bedürfnisse der Familie ausgerichtet ist. Dabei geht es um das ganze Spektrum von Unterstützung, um die Besorgung von Kleidung und Wohnungsausstattung, technischen Geräten und Finanzierungsgelegenheiten für die Fahrten zur Schule oder bei Ausflügen, ebenso um die freundliche Begleitung und Ermunterung wie auch die konkrete Übung der Sprache und der Nachhilfe für die schulischen Aufgaben. Erziehungsberatung fließt ebenso in diese Begleitung ein wie Konfliktmanagement. Bemerkenswert ist ein Satz: „Wir freuen uns riesig“. Die Gemeinsamkeit der Erfahrung und des Erfolgs ist der Lohn des Engagements, das aber nicht auf Lohn und Erfolg aus ist, sondern auf sinnvolle menschliche Tätigkeit.


Inzwischen habe ich mich für eine Familie mit drei Kindern, die neulich angekommen sind, engagiert. Ich werde die Familie morgen treffen. Wenn das nicht klappt, werde ich mich wieder melden.

Ich habe schon eine Verpflichtung einer pakistanischen Familie (Eltern und Kinder) gegenüber, die neulich angekommen ist. Ich werde vier Stunden (zwei Mal in der Woche) Deutsch-Unterricht geben und mit ihnen ab und zu Ausflüge in Mainz unternehmen. Das kleinste Kind ist schwer krank und ist in Behandlung. Die Familie wohnt in der Sammelunterkunft in der Zwerchallee. Ich bin auch Lesementorin für zwei Siebenjährige aus Bulgarien in der Leibnizschule - an einem anderen Tag in der Woche.

Ich habe auch etwas Schönes zu berichten. Die B. hat so einen tollen Fortschritt mit ihrem Deutsch gemacht, dass sie jetzt einige Stunden in der Woche nach ihrem Deutschkurs den Unterricht in Mathematik und Chemie besuchen darf. Die Eltern sind auch sehr fleißig dabei Deutsch zu lernen. Die ganze Familie benutzt häufig den neuen CD- Spieler. Wir haben passendes Material in der Bibliothek gefunden. Ich verbringe jetzt drei Stunden, zwei Mal in der Woche, mit der Familie mit riesigem Spaß auch für mich. Meine Freunde in der Pfalz haben viele Spielzeuge, Vorhänge, Kleidung, Geschirr, einen Monitor gespendet; das alles kann die Familie gut gebrauchen.

Die Familie muss bald die Entscheidung über den Übergang in die fünfte Klasse treffen. Es geht darum, ob der Bruder zur Willigis- oder Kanonikus Kir Realschule im August angemeldet werden soll. Ich habe den Eltern gesagt, sie sollen sich wieder an der Sozialarbeiterin C. A. und C. W., die beim Schulbesuch schon dabei gewesen sind, wenden und mit ihnen die Entscheidung beraten. Ich glaube, in der fünften Klasse in der Kanonikus Kir Schule gibt es in der fünften Klasse zusätzlichen Deutschunterricht für die ausländischen Schüler, aber in Willigis-Schule nicht. Das ist sehr schade, denn es wäre besser, wenn Bruder und Schwester zusammen in eine Schule gehen könnten.

Ich werde wieder bei Frau T. im Jugendamt in dieser Woche anrufen und fragen, ob sie Neues über die Finanzierung der Busfahrkarte für B. im nächsten Schuljahr herausgefunden hat. Die Zeit mit der Familie und die zwei kleinen Jungen in der Leibnizschule genieße ich weiter.

Die Familie, die ich betreue, hat diese Woche Asylrecht bekommen. Wir freuen uns riesig. Jetzt ist die Hoffnung begründet, dass die Eltern ihre Deutschkenntnisse ergänzen können. So werden sie später in ihren medizinischen Berufen aktiv und an der Gesellschaft teilnehmen können.

Das kleine Kind der Familie hat seine Chemotherapie abgeschlossen und besucht seit Februar die Kindertagesstätte. Leider gibt es erst für den Mai Untersuchungstermin im neurologischen Zentrum. Sie braucht wahrscheinlich einen integrativen Kindergarten; inzwischen haben wir drei Einrichtungen dieser Art besucht. Ohne Diagnose kann sie fürs neue Jahr keinen Platz reserviert bekommen.

Die älteste Tochter hat die besten Noten in Willigis-Gymnasium für Gastschüler und wird für ein Stipendium empfohlen. Der 13-jährige in der Realschule+ hat auch eine Empfehlung für eine Förderung und nimmt in den Ferien an einem Unisportkurs teil. Eine ältere alleinstehende Nichte ist auch jetzt öfter dabei; sie ist künstlerisch begabt und möchte Architektur studieren. Ich glaube, diese Familie steht auf festen Füßen. Sie ist vielleicht nicht typisch für Flüchtlingsfamilien, obwohl immer mehr gerade akademisch qualifizierte Familien zuwandern. Es ist aber sicherlich ein Privileg diese Familie unterstützen zu dürfen.

Die kleine Tochter hat morgen endlich den Termin im Kinderneurologischen Zentrum. Sie genießt es, die Kindertagesstätte besuchen zu können. Aber wir sind dennoch in Kontakt mit Herrn B. vom Büro für Inklusion, um für das Kind die beste Möglichkeit finden zu können. Die älteren Kinder erleben in der Schule durchweg nur positive Erfahrungen; die Grundlage für sie sind die hervorragenden Leistungsbewertungen. Für die Freundschaft mit dieser Familie bin ich sehr dankbar.

Der Familie geht es jetzt gut. Für F. wurde eine tolle Fachkraft über Commit organisiert. Ich habe mich mit allen Beteiligten getroffen. In wenigen Wochen hat F. große Fortschritte gemacht; darüber freut sich die ganze Familie. Die Eltern besuchen Sprachkurse leidenschaftlich und die älteren Kinder sind in der Schule erfolgreich und zufrieden. Beide nehmen an Angeboten der Alfred-Keschtges-Stiftung teil. Der Vater hat jetzt seinen Führerschein und ein Auto. Wir treffen uns jetzt nicht mehr so oft wie am Anfang.



Wie aus Nachhilfe Lebensbegleitung wird

Die mir anvertrauten Kinder, jetzt im Alter von 11-15 Jahren, kommen aus zwei ganz verschiedenen Ländern. Ich habe sie im Sommer 2017 kennengelernt. Sie haben mich vor drei Jahren gefragt, ob ich ihnen Nachhilfe geben könnte, nachdem es in der Gemeinschaftsunterkunft mit vier Nachhilfelehrern (Lernhilfepaket) nicht geklappt hat. Das einzelne Kind braucht eine eigene, sehr persönliche Betreuung, um langfristig erfolgreich das Lernen zu lernen.

Wichtig war für mich von Anfang an: locker zu bleiben, die Kinder zu respektieren, aktiv zuzuhören, kein Wissen vorauszusetzen, geduldig zu sein, mir Fachwissen zu erarbeiten, die Schüler anzuleiten. In der Nachhilfe hat man die Möglichkeit und die Aufgabe, Stoff, der sogar mehrere Jahre zurückliegen kann, zu behandeln. Die jetzigen Schwächen der Kinder stammen meist aus Versäumnissen der Vergangenheit, das Fundament fehlt. Das darf man in einem solchen Fall nicht ignorieren.

Regeln zu vereinbaren (Smartphone, Essen, Elterntelefonate …) und diese einzuhalten ist wichtig. Begreifen, dass man Hausaufgaben bekommt, damit man sie auch macht und zu verstehen, dass, wenn man im Unterricht alles teilnahmslos vorbeirauschen lässt und sich nur unterhält, man nichts mitbekommt und die Lehrer verärgert reagieren – das gehört zum Lernen in der „Nachhilfe“.


Von der Nachhilfe zum Parallelunterricht in Corona-Zeiten

Anfangs war ich naiv und dachte, dass ich mit zwei Stunden wöchentlich Deutsch-Nachhilfe pro Kind die Lage verbessern könnte. Innerhalb des nächsten Jahres habe ich dann begriffen, dass dieses Angebot bei weitem nicht ausreicht. Die Eltern dieser Kinder hatten nie die Chance, eine Schule zu besuchen und können die Kinder bei den Hausaufgaben nicht unterstützen. Es ist wie in nicht wenigen Migrantenfamilien anders: die Kinder unterstützen ihre Eltern bei allem, was ansteht, mit unserer Hilfe (Briefe der Ämter, passende Ärzte finden, Termine ausmachen, Härtefallregelung erklären, Handyvertrag abschließen, Corona und vieles mehr). Dabei erfahren die Kinder auch die hinter den Alltäglichkeiten liegenden Lebensbedingungen: Ausländerrechtliche Duldung, Finanzprobleme, Schule als Ausleseinstitution, Erziehungsvorstellungen der Eltern …).

Die Schule interessiert sich kaum für diese Bedingungen und fordert stur Leistung ein. Es gibt zwar gesetzliche Regelungen, dass die Flüchtlingskinder fairer bewertet werden können, doch das liegt im Ermessen des einzelnen Lehrers und wird nach meinen Erfahrungen selten umgesetzt.

Vom Sprachbad in der Menge kann keine Rede sein, die Mitschüler in der Klasse sprechen schlechtes Deutsch und zuhause in den Heimatssprachen auch noch nach Jahren, selbst wenn die Kinder in Deutschland geboren sind. Die Lebenswelt in der Gemeinschaftsunterkunft oder im benachteiligten Stadtteil verlangt und fördert keine elaborierte Sprache.


Zunächst habe ich meinen Nachhilfeunterricht auf 20-25 Stunden pro Woche erweitert, damit wir in Corona-Zeiten überhaupt eine Chance hatten, alles Notwendige zu bearbeiten. Momentan liegt mein Arbeitsumfang bei 65 Stunden im Monat.

Ich habe meine Nachhilfeangebot entsprechend um Mathe und Englisch erweitert, später noch um GL, Naturwissenschaft, Physik, Biologie, Wirtschaft und Verwaltung, Ethik und B.K. In der Corona-Zeit kamen noch weitere schriftliche Aufgaben in Sport und Musik dazu.

Seit letzten Sommer arbeite ich im IBBO (Interkulturelles Bildungs- und Begegnungszentrum Oberstadt) und habe mit Sergey Sabelnikovs (Mitarbeiter des IBBO) Hilfe durch zwei sehr engagierte Kolleginnen Verstärkung bekommen: sie haben die Förderung in Mathematik und Englisch übernommen und in Geschichte, GL. Während der Schulschließungen wegen Corona haben sie auch die Förderung in Musik und Sport übernommen. Momentan habe ich zehn Fächer bei drei Kindern, in denen ich sie bei Bedarf unterstütze. Ich kann mir kaum vorstellen, wie es den Kindern aus den Flüchtlingsunterkünften geht, die keine oder keine so intensive Unterstützung während Corona bekommen haben.

Am Anfang war mein größtes Problem, dass die Termine nicht eingehalten wurden, die Kinder keine Arbeitshaltungen gewohnt und unkonzentriert waren. Ihre Frustration in der Schule zerstörte jegliche Motivation, sich mit den schulischen Aufgaben zu befassen. Mit viel freundlicher Zuwendung, endlos vielen Bechern mit Kakao und geschmierten Brötchen, Gespräch und Ausdauer von beiden Seiten ist es uns in zweieinhalb Jahren gelungen, Verständnis für die Notwendigkeit des häuslichen Lernens bei den Eltern zu vermitteln. Und die Kinder haben selber Freude am Lernen gefunden.

Anfangs haben wir nur darum gekämpft die Zensuren von „ungenügend“ und „mangelhaft“ anzuheben. Das war eine sehr harte Zeit, denn was bedeutet es schon, wenn mühselig ein „ausreichend“ erreicht wird?

Mittlerweile sind Arbeitshaltungen ein Stück Gewohnheit geworden, an der Kontinuität müssen wir noch arbeiten. Die Konzentrationsschwächen aller Kinder haben sich mit viel Mühe, Übung und Geduld erheblich verbessert. Schwierig für die Kinder ist die Situation, dass sie in der Sammelunterkunft für Flüchtlinge keine konkrete Unterstützung finden (sie haben keinen festen Arbeitsplatz zum Lernen und Erledigen der Hausaufgaben, dazu fehlt auch die Ruhe, überall laufen die Fernseher, jüngere Geschwister müssen parallel beschäftigt werden …). Es ist schwer für die Kinder alles selbstständig zu organisieren; vieles können sie mit unserer Hilfe, bei vielem bleiben sie aber allein. Wenn man sich klarmacht, dass in Deutschland der Schulerfolg zu zwei Dritteln von der Förderung durch die Kleinfamilie abhängt und nur zu einem Drittel von der Schule, weiß man, dass den Kindern in den Flüchtlingsunterkünften nicht nur die deutsche Sprache für reelle und faire Bildungschancen fehlen.

Den Kindern fehlen auch stabile Freundschaften in ihrer Altersgruppe und zum Beispiel eine Mitgliedschaft in einem Verein. Der Zugang zu Vereinen gestaltet sich leider sehr schwierig – die „vorläufige Unterbringung“ in der Flüchtlingsunterkunft erschwert vieles. Eine Kollegin spielt mit den Kindern ab und an Basket- oder Volleyball, wenn sie in Zeit dafür findet. Die andere Kollegin lockert die Nachhilfe mit Fußballspielen und anderen sportlichen Aktivitäten auf, was die Kinder sehr mögen (Pause von 10-15 Minuten).


Der Ablauf der Nachhilfen

Die Kinder kommen inzwischen ausgesprochen gerne zur Nachhilfe, sie lieben die Atmosphäre in einem warmen Raum, in dem jeder hat seinen Platz für sich hat; Essen, Trinken, Süßigkeiten gibt es immer und an Blöcken, Buntstiften und anderen Schulmaterialien herrscht nie Mangel. Sie gehen damit sehr sorgsam um und wir bemühen uns darum, offen für die Anliegen der Kinder zu sein.

Wir sind froh, dass wir die kleine Nähstube im IBBO seit letztem Sommer für unsere Nachhilfe nutzen dürfen. Der Raum gibt mir, meinen Kollegen und den Kindern als gewohnter Raum Sicherheit und Klarheit („da gehören wir hin, da haben wir einen Platz, der ausreicht für uns und uns schützt“).

Zuerst essen wir etwas (das mit dem Schulessen klappt oft aus vielerlei Gründen nicht) und die Kinder erzählen (ungefähr 30 Minuten, wenn es besondere Vorkommnisse gibt, dann dauert das Gespräch auch schon mal länger. Das ist wichtig, da man mit „aufgewühlten“ Kindern nicht arbeiten kann. Also wird Klärungsbedarf, egal was es betrifft, erst einmal in den Blick genommen, zugehört, was manchmal schon reicht, oder nach Lösungen gesucht oder manchmal Spannungen zusammen ausgehalten. Auch wenn wir an den Spannungen nichts ändern können, hilft allein das Aussprechen und das Teilen mit anderen. Dann können wir konzentriert arbeiten. In diesen Abläufen haben wir schon einiges miteinander erlebt.

Wir trainieren, was die Lerninhalte betrifft, und versuchen jeweils unser Bestes zu geben, lassen Zensuren und Vergleiche außen vor und erleben erst einmal, dass Arbeiten für die Schule auch Spaß machen kann, wenn man erlebt, dass Lerninhalte, wenn man sich tiefer mit ihnen befasst, sehr interessant sein können. Gerade in den Fächern Ethik, Deutsch, Biologie, Naturwissenschaft… stehen auch oft Fragen zur Diskussion, die die Kinder sowieso interessieren. Die verschiedenen Religionen sind ein beliebtes Thema, weiterhin Sexualität, die Freiheit in Deutschland, die Polizei und vieles mehr. So erreichen die Kinder mit der Zeit durch viel Übung und Fleiß und mit einem größeren Hintergrundwissen die besseren Zensuren. Inzwischen haben sich auch die Bewertungen der Hausaufgaben, der Klassenarbeiten und der HÜs sehr positiv entwickelt.

Im IBBO fühlen sich die Kinder herzlich aufgenommen, von Sergey (der sie schon oft mit Kuchen bedacht hat), von Karoline, die sie seit ihrer Ankunft hier in Deutschland kennen und jetzt auch von Oliver, der ihnen seine Hilfe bei „Papieren“ angeboten hat. Olivers Hund Chaya mögen die Kinder besonders gern.


Es bleiben Probleme und Aufgaben

Ein Thema begleitet unsere Arbeit durchgehend und immer wieder: verbale Gewalt, körperliche Aggression und strukturelle Gewalt in der Kinderspielgruppe, in Schule, Familie und Nachhilfe. Die Kinder erleben dies in ihrer ganzen 3Lebenswelt und handeln entsprechend. Frustrierend stellt sich die Frage: Was nützen die verbesserten Schulnoten, wenn bei „Verhalten“ im Schulzeugnis „unbefriedigend“ steht, Anzeigen durch die Schule erfolgen, Schulausschluss droht … ?

Das ist ein ausgesprochen schwieriges Thema, das mir und meinen Kolleginnen persönlich schon so manche Mühe bereitet hat. Aufgrund von Missverständnissen, Missdeutungen und fehlenden kommunikativen Fähigkeiten und Gewohnheiten können Konflikte oft nicht problemlösend ausgetragen werden. Spannungen zwischen Personen werden nicht ausgehalten, sondern in derber Sprache ausgedrückt. Schon wenn ein anderes Kind „verkehrt guckt“, fordert ein älteres Geschwisterteil Kontaktabbruch … oder „eins auf die Fresse“ (vielleicht haben die Kinder das im Fernsehen von Andrea Nahles gelernt), was denn auch mal schnell in die Tat umgesetzt wird. Weder in der Schule oder auf dem Schulhof noch in der „Gemeinschaftsunterkunft“ erleben die Kinder dazu alternative Formen.

Die Eltern erwarten Loyalität gegenüber ihren eigenen traditionellen Werten und Erfolg in der Schule und später im Arbeitsleben. Für die Kinder ergeben sich daraus Konflikte, denn sie müssen mit den Unterschieden zwischen schulischer und familiärer Lebenswelt zurechtkommen. Gewalt zur Problemlösung ist ein Dauerthema. Respekt zu Hause bedeutet Unterordnung unter den Vater, den ältesten Bruder … Nachzufragen, warum etwas angeordnet wird, könnte als Widerstand gegen die elterliche Autorität verstanden werden und unterbleibt auch dann, wenn die Kinder aufgrund ihrer außerfamilialen Lebenserfahrung gute Gründe benennen könnten. Die Unterschiede zu meinen eigenen (vielleicht Mittelschicht-)Vorstellungen des Miteinanderumgehens werden ständig bewusst.

Die Eltern sind weniger als die Kinder schon in Deutschland sozialisiert und verstehen nicht, dass man für den Schul- und später für die Arbeitsintegration hohe Selbstständigkeit, Selbstsicherheit, Selbstbewusstsein, eine große Neugier und Offenheit gegenüber allen Themen und Menschen braucht, um die Schule und das Berufsleben gut meistern zu können. An der Haustür müssen die Kinder solche Sozialkompetenzen ablegen und sich in das familiale System einfügen. Das ist ein Spagat für die Kinder, der mit Schmerz, Trauer, Verzweiflung, Zorn und Unverständnis verbunden ist. Die Kinder sind stolz auf ihre neuen Errungenschaften, was eher knapp gewürdigt wird. Manchmal spüren sie auch Misstrauen gegenüber dem, was sie in der „deutschen Umgebung“ lernen. Zu dieser Umgebung gehören auch wir als die Nachhilfelehrerinnen. Und an diesem Punkt setzt auch unsere Rückfrage an uns selbst an, ob wir durch die Intensität der Begleitung den Konflikt für die Kinder vergrößern. Denn wir sind von der Richtigkeit unserer Auffassungen überzeugt und die Kinder erfahren durch uns attraktive Vorstellungen und Werturteile für das Leben.

Gleichzeitig aber sind die Eltern zutiefst dankbar und freuen sich sehr über die Chancen, die ihre Kinder hier bekommen. Es bleibt ein weiter Spagat für die ganze Familie in Deutschland gut anzukommen. Es ist für die Eltern nicht leicht, in so hohem Maße auf die Mithilfe ihrer Kinder angewiesen zu sein. Ihre Autorität wird praktisch untergraben, ohne dass sie es ändern können – im Gegenteil: sie brauchen ja die Kinder für die Bewältigung der gesellschaftlichen Anforderungen. Und sie erleben, dass sich das so schnell nicht ändern wird, weil sie ohne Sprache und ohne Schrift in dieser Gesellschaft kaum einen eigenen Platz finden können. Auch an dieser Stelle fehlt es grundlegend an den passenden individuellen Angeboten. Solche Angebote im IBBO werden deshalb stark nachgefragt, obwohl die Hürden der Scham, seine Schreib- und Leseschwäche zu zeigen, hoch sind.

Aber am Ende der Problemanzeige steht auch die Feststellung: Auch im Bereich der Schulnote für „Verhalten“ haben die Kinder sich inzwischen gut entwickelt.


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In unserer kleinen Gruppe vermitteln wir Werte und üben wir, miteinander mit Toleranz umzugehen. Als kleine Gemeinschaft erarbeiten wir uns immer neu ein wohlwollendes, streitbares Miteinander in Begegnung, Dialog, Gespräch über Verschiedenheiten und machen immer wieder die Erfahrung eines „wir“ in Form von gemeinsamer Freude oder geteiltem Leid und Trost. Wir achten uns gegenseitig individuell und kulturell und entwickeln Neues zwischen den Kulturen und Personen. Unsere kleine Gemeinschaft erlebt kulturelle und andere Grenzen nicht als fixiert, sondern als fließend. Menschen haben außer Religion und Herkunftskultur noch weitere vielfältige Unterschiede und Gemeinsamkeiten – wie Geschlecht, Beruf, Musikpräferenz, Freundschaften und vieles mehr.

Ein Thema in unseren Gesprächen ist, dass man auch Vorgaben der eigenen Kultur verneinen darf, dass Kultur flexibel ist. Das ermöglicht Abstand zur eigenen Kultur, der eine Reflektion ermöglicht. (Ein Beispiel: Am Anfang haben die Kinder gesagt: Es gibt die Hölle, alle Christen und Nichtmuslime kommen in die Hölle – zwei Jahre später heißt es: wie kann die Hölle gemeint sein? Hat der Koran Gemeinsamkeiten mit dem Judentum und dem Christentum?) Entscheidend ist, dass wir miteinander in der Nachhilfegruppe uns im Zuhören geübt haben und mittlerweile auch vom jeweiligen eigenen Standpunkt absehen können, egal ob er kulturell, weltanschaulich oder religiös ist und eine Haltung teilen, die Wege und Lösungen finden will, die nicht nur die eigenen Wünsche und Interessen im Blick haben, sondern das Wohl aller Beteiligten. In diesem Sinne ist die Arbeit mit den Kindern sehr anspruchsvoll, lebendig, bereichernd. Man braucht eine große Offenheit, Neugier, Standvermögen (innerlich und äußerlich) und die Bereitschaft sich Wissen anzueignen, Gewohntes gerade auch in der eigenen „Weltanschauung“ infrage zu stellen und sich damit auseinander zu setzen.

Ich glaube, wir sind uns gegenseitig gute Lehrmeister geworden. Ich habe mich sowohl in den schulischen Themen als auch in den kulturellen Unterschieden zunächst einmal klug machen müssen, um ein guter Sparringspartner zu werden, der den Kindern ermöglicht einen eigenen Stand zu finden. Ich habe ihnen vorzuleben versucht, dass man in einem Konfliktfall nachgeben und trotzdem eine gefestigte Persönlichkeit sein kann. Und es hat mich besonders gefreut, dass zwei Kinder diesen Weg schon ab und zu in der Schule umsetzen, wenn sie es für angemessen halten.

Wir setzen uns immer mit konkreten Beispielen auseinander: Sind viele deutsche Frauen „Schlampen“, weil sie im Sommer Shorts tragen und ausgeschnittene T-Shirts (wie meine junge Nachhilfelehrerin) oder einen Bikini in der Badeanstalt? Sind deutsche Männer Waschlappen, weil sie sich nicht schlagen oder weil hier schwule/lesbische Menschen heiraten dürfen? Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau: wie kann das aussehen? Sind die Strafen für junge gewalttätige Menschen in Deutschland zu streng? Aber auch: Ist unsere Gesellschaft so tolerant, wie sie vorgibt? Was ist los mit dem Rassismus?

In den drei Jahren haben wir über Vieles gesprochen und gemeinsam überlegt. Jeder hat seinen Standpunkt erzählt, wir haben uns miteinander weiterentwickelt, sodass es inzwischen möglich ist, Gespräche, ohne einen Schlagabtausch von Abwertungen zu führen, sondern mit Neugier, Nachdenklichkeit und dem Ringen um selbstständiges Denken ohne Vorurteile. Selbstbestimmung, die sich begründen kann, wurde mir zur zentralen Orientierung. Gleichzeitig kommt es auf die gemeinsame Sicht an, dass allen ein gutes Leben auf Grundlage der Menschenrechte möglich sein soll.

Die Kinder lieben ihre Familien, sie sind gerne in Deutschland und möchten hierbleiben und überlegen, wie ein selbstbestimmter Weg für sie aussehen kann, ohne die Loyalität der Familie zu verlieren. Sie möchten gerne an vielen sozialen Aktivitäten mit Gleichaltrigen teilnehmen, würden gerne ins Schwimmbad zum Schwimmen gehen, Kleidungsstile ausprobieren, Freundschaften schließen und sich gegenseitig besuchen und vielleicht, wenn sie älter sind, einen Beruf ausüben und selber entscheiden, wo sie wohnen möchten und mit wem sie zusammenleben möchten. Für die Kinder ist es aber gegenwärtig sehr hart, auf diese Dinge verzichten zu müssen – und sei es auch nur in der Vorstellung.


Lernen in unserer Welt

Vor der Corona-Zeit haben wir zusammen den „Opel Zoo“ besucht, das Senckenberg Museum, den Maintower, waren etwas verkleidet und geschminkt auf einem Kindermaskenumzug, im Museum für Kommunikation und haben eine Museumsausstellung für angewandte Kunst über islamische Mode besucht. Wir waren gemeinsam im botanischen Garten und haben in der Mensa der Uni Mainz riesige Portion Pommes und Burger gegessen. Diese Erlebnisse mochten die Kinder besonders.

Was einmal übrig bleibt, weiß ich nicht. Es zählt das Jetzt und der Weg, die Kinder mit dem Leben und den Möglichkeiten in Deutschland vertraut zu machen einerseits, und andererseits einfach eine schöne gemeinsame Zeit miteinander zu haben, die mir selbst jetzt schon unvergesslich ist.

Im Monat arbeite ich 47 Stunden ehrenamtlich und circa 18 Stunden als Honorarkraft für Nachhilfe/Bildungsbegleitung im IBBO. Wenn ich mir unsere Arbeit so anschaue, greift der Begriff Nachhilfe (Schulnoten) zu kurz. Bei unserer kleinen Gruppe braucht es erstmal Lebensbegleitung/Lebensberatung, damit im schulischen Bereich überhaupt Veränderungen gelingen können! Man muss bereit sein mit den Kindern eine Beziehung einzugehen, verlässlich zu sein und immer wertschätzend. Wir, meine beiden Kolleginnen und ich, unterstützen uns und die Kinder gegenseitig so gut wir können. Wir sind ein sehr gutes Team.

Aber wir sind nicht allein: Ohne die IT-Unterstützung durch meinen Mann und ohne seine anhaltende Unterstützung in meinem eigenen Lernprozess in die digitale Welt hinein, wäre das Projekt „Nachhilfe“ schon längst gescheitert. Denn die Corona-Zeit hat nicht nur von den Kindern neue Qualifikationen im Umgang mit den digitalen Medien verlangt, sondern auch von den Nachhilfelehrerinnen! Und ohne die geschenkten Geräte würden wir mit den Kindern heute noch die Hausaufgaben per Hand schreiben.


Die Erfolgsgeschichte der Kinder

Eins der Kinder wurde ohne jedes Vorwissen direkt in die vierte Klasse, ein anderes damals direkt in die sechste Klasse eingeschult, die anderen beiden in die zweite Klasse. So ging die Schule mit den geflüchteten Kindern um.

Von den momentan drei Kindern unserer kleinen Nachhilfegruppe hat das jüngste Kind dieses Jahr eine Empfehlung für das Gymnasium bekommen, dass ältere Kind hat sich von ständiger Versetzungsgefährdung zu einem der Besten der Klasse hochgearbeitet. Das dritte Kind hat sich innerhalb eines Jahres auch von lauter „Vieren“ in den Hauptfächern auf „Zweien“ verbessert. Diese Erfolge sind KLASSE, aber noch nicht stabil, müssen erst noch gefestigt werden.


Berichte wurden geschrieben von Amy Peaceman, Beatrix Schaal und Mentor*innen von Mentoring Mainz.

Redaktion: Franz Hamburger

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