Von Dr. Franz Hamburger*
Ein Standbein im IBBO sind die Sprachkurse. Sie tauchen im wöchentlichen Arbeitsplan auf, finden regelmäßig statt, werden vor- und nachbereitet. Ihre Qualität entwickelt sich in der Kommunikation zwischen den Dozent*innen, denn nicht nur die Vorbereitung und Kompetenz der Dozentinnen allein ist für die Dynamik des Kurses und des Lernens bedeutsam. Es kommt auch darauf an, welche Voraussetzungen die Teilnehmer*innen mitbringen, und vor allem: wie sie sich von den Dozentinnen wahr und ernst genommen fühlen. Denn sie sollen mit der Sprache ein Stück Deutschland annehmen und dabei kommt es ganz darauf an, ob sich dieses Deutschland ihnen entgegenkommend präsentiert. Akzeptable Präsentation ist dabei nicht nur das Ergebnis einer Lehrstrategie, sondern auch einer Haltung, einer Überzeugung.
Aber die Qualität des IBBO hat sich im Lauf der Zeit auch daraus ergeben, wie die Anfragen, die täglich eintrudeln, bearbeitet werden. Sie sollen hier wie in einem Tagesbericht gerafft und exemplarisch erzählt werden.
In einer an viele Adressaten der „Szene“, also an diejenigen, die im Feld der Flüchtlings-arbeit tätig sind, gerichteten Mail heißt es: „Liebe alle, bei der Hausaufgabennachhilfe, die ich suche, geht es um zwei Mädchen, die in die 5. Klasse des X-Gymnasiums und die 8. Klasse der Y-Schule gehen. Die Fächer, in denen sie am meisten Unterstützung brauchen, sind natürlich Deutsch, außerdem Mathe und Englisch. Die Familie wohnt in der Z-Straße. Es wäre auch schön, wenn sich ein paar Personen finden lassen, die sich die Nachhilfe aufteilen.“
Eine Stunde später bekommt die Anfragende eine Mail aus dem IBBO: „Hallo H., die Mädchen sollen sich bei mir bitte melden. Die Nachhilfe könnte ich für die beiden unbüro-kratisch organisieren. Viele Grüße, S.“ Es ergibt sich ein intensiver Mailaustausch, an dessen Ende die organisierte Nachhilfe steht, nicht im IBBO, aber über das IBBO vermittelt.
Am späten Vormittag kommt eine Anfrage aus dem IBBO an einen ehrenamtlich Tätigen, der Kontakte zu Schulen hat. „Aktuell betreue ich einen asylberechtigten Mathe-Schullehrer aus der Türkei. Die deutsche Sprache lernt er schnell. Ihm fehlt aber noch die deutsche Terminologie in Mathematik - daher möchte er bei einem Mathe-Unterricht in einer regulären Schule in Mainz hospitieren. Hättest du eventuell eine Idee, in welcher Schule er hospitieren könnte? Danach würde er gerne die Mathe selbst unterrichten wollen, gerne auch als Nachhilfelehrer. Grüße, S.“
Diese Anfrage wird von dem Ehrenamtlichen des IBBO an Lehrer*innen in zwei Schulen weitergeleitet.
Zwei Tage später kommen die Antworten: „ich habe Ihre Anfrage an meine sehr geschätzte Kollegin S. weitergeleitet. Sie ist allerdings aktuell im Urlaub, daher kann es etwas dauern. Wenn die Schule wieder beginnt, kann ich die Erlaubnis unseres Schulleiters einholen und noch weitere Mathe-KollegInnen ansprechen. Ich denke, dass das klappen sollte.“
Von den Schulen kam dann keine direkte Reaktion mehr, aber ein paar Tage später die Mail des türkischen Mathe-Lehrers an den Mitarbeiter des IBBO: „Ich habe mich sehr gefreut, als ich die E-Mail von Ihnen erhalten habe. Zunächst muss ich mich bei Ihnen für die Angebote bedanken. Wir haben uns mit Frau A. in der B-Schule getroffen und sie hat mir die Schule gezeigt und mich über das Praktikum informiert. Aufgrund meiner aktuellen gesundheitlichen Probleme musste ich mein Praktikum auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Ich habe aber letzte Woche den ersten Unterricht an der IGS A. besucht und jetzt besuche ich an zwei Tagen pro Woche den Unterricht. Vielen Dank für alles. Liebe Grüße M.“
Am Nachmittag des Arbeitstages kommt eine Anfrage von einer Betreuerin eines somalischen jungen Mannes, der mit Frau und Kind in Mainz wohnt und in seinem Ausbildungsberuf tätig werden möchte. Dazu lernt er konzentriert Deutsch, aber er braucht noch Kenntnisse in der Fachterminologie. Der Mitarbeiter des IBBO kennt eine Person aus diesem Tätigkeitsfeld und fragt sie an. Sie ist bereit, den jungen Mann zu unterstützen. Der Mitarbeiter macht einen Termin mit dem jungen Mann aus, arrangiert dann ein Treffen mit dem potenziellen Nachhilfelehrer „Fachsprache“ und begleitet die beiden für die ersten Termine telefonisch. Nach einiger Zeit schreibt er eine Mail an den jungen Somali: „Lieber N., klappt die Nachhilfe in Informatik mit Herrn R.? viele Grüße, S.“ Es dauert eine Weile, aber dann kommt eine Mail: „Lieber S., zuerst bedanke ich mich bei dir für deine Hilfe und ich entschuldige mich für meine verspätete Antwort. Ich habe viel zu tun gehabt bei der Arbeit und auch in der Schule. Bei Herrn R. lerne ich gut und der hat mir viel erklärt. Wir treffen uns zwei- oder einmal in der Woche und das hat mir echt geholfen. Da ich ab nächste Woche Urlaub habe, komme ich mal zu dir und ich erkläre dir alles. Liebe Grüße N.“ Auch die Begleiterin aus einem Mentoringprogramm meldet sich nach einer Weile und dankt dem Mitarbeiter des IBBO. Und sie schreibt eine Mail an N.: „danke für deine Rückmeldung! Es freut mich sehr, dass Herr R. dir helfen kann!“
Auch für die im IBBO ehrenamtlich oder als Honorarkraft Tätigen gibt es Unterstützung: So heißt es in einer Mail an den Ehrenamtler mit Schulkontakten: „du hast vor einiger Zeit den Lebenslauf unserer Nachhilfe-Lehrerin S. L. (mit frischem Migrationshintergrund) an die Y-Schule weitergeleitet. S. L. hat nun einen Einstellungsvertrag von dieser Schule erhalten und mich gestern angerufen, um sich zu bedanken.“
Einem IBBO-Mitarbeiter fällt in einem Deutschkurs eine zielstrebige Asylantragstellerin und Pharmazeutin aus P. auf, dann vermittelt er sie in eine Arbeitsgelegenheit im Weltladen. Sie wird zu einer großen Bereicherung des Weltladen-Teams. Der IBBO-Mitarbeiter erklärt der jungen Frau aus P. die Wichtigkeit von Bewerbungsunterlagen und erstellt diese mit ihr zusammen. Diese Unterlagen schickt der Mitarbeiter an den administrativen Direktor eines naturwissenschaftlichen Forschungsinstituts in Mainz, den er persönlich kennt. Dann folgt eine Antwort des Direktors „Nein, Pharmazeuten brauchen wir nicht. Ich habe aber nachgeschaut, sie kommt aus einer recht guten Universität. Sie soll sich aber am pharmazeutischen Institut bei Herrn H. beraten lassen“. Nach 6 Wochen kommt wieder eine E-Mail vom Direktor „Herr S., wir suchen aktuell Assistenten im Labor. Hätte die junge Dame aus P. eventuell Interesse?“ Die junge Frau saß in diesem Moment im Deutschunterricht im IBBO und bekam sofort die Anfrage des Direktors weitergeleitet. Nach dem Vorstellungsgespräch mit der jungen Frau bekam der IBBO-Mitarbeiter einen Anruf von der Sekretärin des Direktors „Die junge Dame möchten wir sehr gerne einstellen.“ Der IBBO-Mitarbeiter berät die Sekretärin zum Thema Arbeitserlaubnis und bietet dabei eine geschickte, aber wenig bekannte Lösung im Verfahren zur Arbeitserlaubnis an und bereitet die nötigen Unterlagen vor. So wurde die junge Frau aus P. zur Bereicherung des Institutsteams. Nach ein paar Monaten rief die Sekretärin wieder an „Wir suchen jemanden für die Haustechnik in unserem Institut“. Der IBBO-Mitarbeiter leitet die Anfrage an einen ehemaligen und engagierten syrischen Kursteilnehmer mit Ingenieurausbildung weiter. Der Mann aus Syrien bekam den Job – durch seine Fachkompetenz konnte er sich beim Arbeitgeber gut beweisen.
Ein IBBO-Mitarbeiter hatte nachmittags zeitlichen Spielraum und sprach einen im IBBO ehrenamtlich Tätigen und an Sport interessierten Mann aus A. (mit ausländerrechtlicher Duldung) an und brachte ihn in einen benachbarten studentischen Sportverein, der auch den Lebensmittel-Fair-Teiler des IBBO beliefert. Eine Studentin im Sportverein begegnete ihm freundlich aber distanziert, sie zeigte ihm die Sportanlage und erklärte das gesamte Beitrittsverfahren im Verein. Dann gab sie ihm eine Tasche mit Broten für den Fair-Teiler mit. Später wurde in der Tasche das Portemonnaie der Studentin gefunden. Der Mann aus A. ging in den Verein zurück, um das Portemonnaie zurückzugeben und traf dort aber auf eine andere Studentin, die ihn gleich zu einer Party am Wochenende einlud. Er kam zur Party. Seitdem treibt er jeden Mittwoch mit deutschen Studenten Sport und abends trinkt er mit ihnen ein Bier. Er fährt mit ihnen nach Bonn zu einem Volleyball-Turnier. Der junge Mann sucht einen Ausbildungsplatz und hofft die Kontakte im Verein dafür nutzen zu können.
Natürlich gibt es im Lauf des „Tages“ eine Reihe von Anfragen, die beantwortet werden, und Erlebnisse, die reflektiert werden, die aber nicht zu einem konkreten Ergebnis führen. Oft ist nicht klar, wie mit dem vom IBBO ausgehenden Angebot auf eine Anfrage verfahren wird. Viele der in der Szene der Flüchtlingshilfe Tätigen sind belastet, arbeiten nicht jede Anfrage sorgfältig ab, kommunizieren nicht ausführlich. Sie wissen, dass die Kommunikation im Netz der Kooperierenden wichtig ist, kommen aber oft nicht dazu. In anderen Fällen ist vielleicht die niedrige Schwelle, die im IBBO eingezogen ist, dass man sich nämlich vor einer Hilfeleistung persönlich im IBBO zu einem Gespräch treffen muss, für einige zu hoch – oder sie haben eine Lösung für ihr Problem an einem anderen Ort gefunden.
So ist es bei einer Anfrage geblieben: “Sehr geehrte Frau K.,vom Kinderschutzbund habe ich erfahren, dass Sie für das 14-jährige geflüchtete Mädchen einen Deutschkurs suchen.
In unserem Interkulturellen Bildungs- und Begegnungszentrum Oberstadt (IBBO) haben wir verschiedene Deutschkurse. Die Übersicht dieser Deutschkurse finden Sie auf unserer Website www.oefo. Darüber hinaus könnten wir für das Mädchen auch einen Einzelunterricht organisieren. Falls das Mädchen an unserem Angebot interessiert ist, soll sie bitte zu mir ins IBBO-Zentrum kommen.“
Eine Anfrage wegen einer Wohnung für eine junge Frau, die einmal in Mainz wohnte, dann zu einem Verwandten gezogen ist und schließlich, nachdem sie dort drangsaliert wurde, wieder nach Mainz zurück wollte, wird beantwortet mit dem Hinweis auf eine gerade frei werdende Wohnung. Auf den Hinweis kommt keine Antwort von der betreuenden Ehrenamtlichen.
Eine andere Anfrage wegen einer „Nachhilfe im Schreiben“ wird aufgegriffen und beantwortet mit verschiedenen Vorschlägen. Möglicherweise war ein Hinweis weiterführend; eine Bestätigung kam nicht zurück.
An dieser Stelle sei eine Auswahl typischer Anfragen dokumentiert:
„M. ist seit vier Jahren in Mainz und macht nun eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger. Er braucht sprachliche Unterstützung. Deshalb sucht er jemanden, der ihm helfen kann bei seinem Studium und der Sprache. Falls ihr interessiert seid ihm zu helfen und M. kennenlernen möchtet, schreibt uns bitte.“
„A. ist 27 Jahre alt, kommt aus Syrien, hat in Ungarn ein Masterdegree in englischer Sprache gemacht und ist nun seit 3 Monaten in Mainz. Er macht zurzeit in einer englischsprachigen Firma ein Praktikum, muss aber natürlich noch gut Deutsch lernen, um hier zu arbeiten. Außerdem kennt er noch ganz wenige Leute hier. Er sucht deutsche Menschen, die sich mit ihm unterhalten, etwas unternehmen (er macht sehr gerne Sport) und ihn beim Lernen der deutschen Grammatik unterstützen. Wir freuen uns, seine Kontaktdaten an Interessierte weiterzugeben, die ihn kennenlernen möchten.“
„Mein Name ist M. Ich komme aus dem Irak, und seit eineinhalb Monaten mit meiner schwangeren Frau in Deutschland, also in Mainz. Ich bin Arzt von Beruf, und würde gern hier in Deutschland weiter als Arzt zu arbeiten und das ist tatsächlich meine Motivation Deutsch zu lernen. Ich muss zunächst meine Sprache verbessern, damit ich mich mit deutschen Patienten verständigen kann. Das ist mir sehr wichtig, um die Fachsprachenprüfung zu bestehen und zweitens für meinen Job als Arzt. Gerade nehme ich an einem Kurs in einer Sprachschule teil. Könnt ihr mir helfen um ein Sprachpartner/in zu finden? Obwohl studiere ich viel, finde ich es so schwierig, wenn ich auf der Straße mit deutschen Muttersprachlern sprechen möchte.“
Diese Anfragen sind auch ein Bild der Problemlagen, mit denen sich geflüchtete Menschen auseinandersetzen müssen. Sie kursieren durch das Netz der Flüchtlingshilfe und werden mehr oder weniger erfolgreich beantwortet. Das richtige Passungsverhältnis zu finden für die jeweilige Anfrage, ist die große Aufgabe der Hilfestruktur. Deutlich wird dabei, dass die dauerhaft organisierten Kurse und Angebote das eine sind, was nötig ist, dass andererseits aber die individuelle Unterstützung nur auf dem Weg der vernetzten und offenen Kommunikation gefunden werden kann. Genau für diese Aufgabe bedarf es in der Flüchtlingshilfe ausreichender Ressourcen, nicht neuer, genau definierter Programme, die sich an den Vorstellungen der Programmausschreiber orientieren.
Das IBBO spielt mit seinen Angeboten in der Struktur der Mainzer Flüchtlingshilfe eine wichtige Rolle. Vor allem aber ist es in der Lage, auf Anfragen unverzüglich mit einem konkreten Angebot, zumindest mit einem konkreten Gesprächs- und Klärungsangebot zu reagieren. Seine Qualität hat es entwickelt, weil es rasch auf Bedürfnisse reagieren kann, weil es in der Szene verankert ist und Hilfen vermitteln kann, weil es zu einer ganzen Reihe von ehemaligen Hilfeempfänger des IBBO Kontakt hält und deren Ressourcen im Einzelfall passend aktivieren kann, weil es auch die sozialstaatlich organisierten Angebote kennt und in sie vermitteln kann, weil es mit einer persönlichen Verbindlichkeit agiert und weil es im Angebot der Unterstützung auch die Aktivität des Hilfesuchenden angemessen einfordert.
Das IBBO ist natürlich nicht die einzige Einrichtung, die so oder so ähnlich arbeitet. Aber aus der detaillierten Beschreibung der praktischen Abläufe kann man gut erkennen, welche Qualitäten in der Flüchtlingsarbeit, und nicht nur dort, notwendig sind.
* Prof. i.R. Dr. Franz Hamburger ist Vorstandsmitglied der ÖFO e.V.
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