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Vielfalt der Zuwanderung: Beispiel für die Integration hoch qualifizierter Flüchtlinge aus der TR


Beim Besuch von Ministerin Binz im IBBO am 28.09.2021 hat Sercan Öztürk die Zusammenfassung seiner Studie über die berufliche Integration türkischer Ärzte vorgetragen. Er hat dabei Neuland betreten, denn der Integrationsprozess hoch qualifizierter Zuwanderer verläuft ebenso komplex wie ihre Tätigkeit anspruchsvoll ist. Für diesen Prozess braucht es neue Formen der Beratung, der Koordinierung von Unterstützungsangeboten und der effektiven Nutzung von Qualifikationselementen – beispielsweise durch Fallmanagement. An der Ausarbeitung der notwendigen Konzepte wird sich die ÖFO beteiligen können. Eine optimale Voraussetzung ist die Studie von Ercan Öztürk.


Vielfalt der Zuwanderung: Das Beispiel für die Integration hoch qualifizierter Flüchtlinge aus der Türkei nach Deutschland

1. Einleitung

Ein steigender Trend bei den Zuwanderern nach Deutschland in den letzten Jahren sind politische Flüchtlinge aus der Türkei.

Nach dem Putschversuch in der Türkei am 15. Juli 2016 wurden in den letzten 5 Jahren aus politischen Gründen gegen etwa 600.000 Menschen Ermittlungen eingeleitet, 100.000 Personen festgenommen, 125.000 Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst, 6000 Akademiker von Universitäten und 23.000 Offiziere der Armee oder Marine entlassen. Insgesamt waren ca. 1,5 Millionen Menschen davon direkt betroffen. Dieser Prozess dauert immer noch an und infolgedessen sind Zehntausende von Menschen gezwungen, die Türkei zu verlassen. Die überwiegende Mehrheit von ihnen ist gut ausgebildet und ein erheblicher Teil von ihnen bewirbt sich in Deutschland um Asyl.

Betrachtet man die Zahl der Asylanträge aus der Türkei nach Deutschland, stieg diese Zahl von 1500 Erstanträgen im Jahr 2015 auf 5.742 im Jahr 2016, 8.027 im Jahr 2017, 10.160 im Jahr 2018 und 10.784 im Jahr 2019. Auch bei der Zahl der Asylbewerber in Deutschland ist der Anteil der Anträge aus der Türkei an der Gesamtzahl der Anträge seit 2016 gestiegen (BAMF, 2021).

Diese neue Welle aus der Türkei liefert ein geeignetes Beispiel für die Integration hoch qualifizierter Zuwanderer im Rahmen der Vielfalt der Zuwanderung. Genau an dieser Stelle stellt sich die Frage, wie die Integration hoch qualifizierter Flüchtlinge in Deutschland gestaltet werden soll.

Diese nicht repräsentative, aber konkrete Studie soll die Integration hoch qualifizierter Flüchtlinge in Deutschland unter sprachlichen, beruflichen und soziokulturellen Aspekten besser beschreiben. Die Studie wurde in dem Bemühen konzipiert, umfassendere Folgeforschungen und -projekte zu initiieren, anstatt verallgemeinernde Daten zu enthüllen.

2. Forschungsprozess und verwendete Techniken

Es wurden Interviews mit 3 Ärzten geführt, die nach dem Putschversuch am 15. Juli aus der Türkei nach Deutschland kamen. Sie besuchten sehr gute Universitäten, schlossen ihre Schule mit Auszeichnung ab und kamen bei den Prüfungen von Millionen Schülern unter die Top 1000.


Bei der Auswahl der Befragten wurde berücksichtigt, dass sie in unterschiedlichen Bundesländern wohnen, zeitlich und formal unterschiedlichen Integrationsprozessen unterliegen und vergleichbare Berufe ausüben.


Die Interviews wurden online geführt und aufgezeichnet. Die Informationen wie Ziel, Umfang, Methode, geschätzte Dauer und Aufzeichnung der Interviews sowie die anschließende Transkription und Datensicherheit der interviewten Personen wurden kurz erklärt und entsprechende Einwilligungen eingeholt.

In den Interviews kam eine halbstrukturierte Tiefeninterviewtechnik zum Einsatz, und in diesem Zusammenhang wurde ein Interviewplan bestehend aus 5 Abschnitten, 15 Haupt- und 29 Unterfragen erstellt, um die sprachliche, berufliche und soziokulturelle Integration der Interviewten zu hinterfragen. Vor den Interviews wurde ein Pilotinterview mit einem anderen Arzt geführt und der Interviewplan entsprechend angepasst. Abhängig von den Antworten der Befragten wurden die Interviews spontan mit neuen Fragen vertieft.

Jedes Interview dauerte ungefähr 35 Minuten. Nach der Transkription der auf Türkisch geführten Interviews lagen ca. 20 Seiten Rohdaten in türkischer Sprache vor. Diese wurden nach Einordnung in Grundthemen ins Deutsche übersetzt.

3. Sprachliche Integration

Die Befragten geben an, dass das möglichst schnelle Erlernen der deutschen Sprache der Schlüssel zu allem ist. Als Hauptproblem sehen sie die Intensität und das Tempo der Sprach- oder ​Integrationskurse. Sie waren selbst oder durch andere Drittorganisationen und Institutionen auf der Suche nach geeigneteren Sprachkursen für sich. Die Möglichkeiten, die sie finden, scheinen jedoch eher zufällig und ephemer als Teil einer strukturellen Lösung zu sein.

Das auffälligste Problem ist das Fehlen eines geplanten Sprachlernmodells für strukturell hoch qualifizierte Flüchtlinge. Da es kein integriertes Sprachlernmodell gibt, liegen zudem gravierende Zeiträume zwischen dem Asylantrag und dem ersten Sprachkurs sowie dem Ende eines Sprachkurses und dem Beginn des nächsten Sprachkurses. Im individuellen Sinne steht der Mangel an Wissen, Beratung oder Anleitung im Vordergrund.

Der Vergleich verschiedener Beispiele zeigt jedoch, dass hoch qualifizierte Geflüchtete schneller und intensiver Deutsch lernen können. Auch die hier verglichenen drei Beispiele zeigen große Unterschiede in der Dauer der Sprachintegration. Wie von den Befragten angegeben, ist der derzeitige Sprachlernstil zeitlich und inhaltlich nicht effektiv. Dadurch erhöhen sich Lebenshaltungskosten und die Erwerbsbeteiligung verzögert sich erheblich.

4. Berufliche Integration

Das Fehlen von Kenntnissen, Beratung oder Anleitung zur Sprachintegration zeigt sich auch bei der beruflichen Integration. Die wichtigsten Informationsquellen der Interviewten und der Personen, die sie konsultieren, sind ihre früheren Kollegen, die selbst Geflüchtete sind.

Hospitation, Praktikum, Freiwilligenarbeit oder erste Berufserfahrungen scheinen völlig zufällig und abhängig von individuellen Anstrengungen zu sein. Die Schwierigkeiten in diesem Zusammenhang werden verständlicher, wenn man die Hauptnachteile der Migration betrachtet, wie die anfängliche Sprachbarriere, fehlende Netzwerke oder die fehlende Beherrschung des bürokratischen Apparates. Die Interviewten geben in diesem Zusammenhang grundsätzlich an, dass sie viel später erkannt haben, welche Schritte sie hätten gehen können bzw. hätten gehen sollen.

Für Beschäftigte in der Medizinbranche, die hinsichtlich vorhersehbarer beruflicher Integration und Nachfrage unvergleichbar ist, macht die Tatsache, dass die berufliche Integration von solchen Zufallsbedingungen abhängig ist, die Schwierigkeit der beruflichen Integration in anderen Branchen vorhersehbar.

5. Soziokulturelle Integration

Die Befragten geben an, dass sie die kulturellen Grundwerte Deutschlands verinnerlichen und ihre alten Lebensstile fast nie ändern müssen, um sich an Deutschland anzupassen. Die Befragten äußerten, dass ihnen die Kultur der Demokratie und des Respekts, die Tatsache, dass alles seine Regeln hat und die Menschen sich an die Regeln halten sowie die Bedeutung des Natur- und Umweltschutzes gefallen.

Hinsichtlich der sozialen Integration ist anzumerken, dass der Prozess je nach Sprache und beruflicher Integration relativ langsamer verläuft. Vor allem beim Finden von Freunden und Geselligkeit kommen entweder Einsamkeit oder intensive Freundschaft mit alten Freunden aus der Türkei in Frage. Man kann sagen, dass die soziale Integration das natürliche Ergebnis der sprachlichen und beruflichen Integration ist.

6. Schlussfolgerung und Bewertung

Deutschland verfügt über eine gut geplante und berechenbare Asyl- und Einwanderungsinfrastruktur. Aus diesem Grund bevorzugen viele hoch qualifizierte Zuwanderer und Flüchtlinge Deutschland. Wie in dieser Studie konkret dargestellt, ist jedoch klar, dass angesichts neuer Zuwanderungswellen im Rahmen der Zuwanderungsvielfalt neue Integrationsperspektiven entwickelt werden müssen.

In dieser Studie zeigen selbst die Daten einer einzigen Berufsgruppe, auch einer sehr kleinen Gruppe, eindeutig, dass es kein geplantes Integrationsmodell für hoch qualifizierte Flüchtlinge gibt. Neben sozialen Problemen verhindert diese Situation die effektive Nutzung von Ressourcen und Chancen, erhöht die Kosten und verzögert die Erwerbsbeteiligung.

Die Durchführung ähnlicher quantitativer und qualitativer Studien in größerem Umfang mit unterschiedlichen Berufsgruppen, unterschiedlichen Herkunftsländern und unterschiedlichen Zielgruppen wird sowohl die aktuelle Situation besser beschreiben als auch eine Orientierungshilfe für die durchzuführenden Projekte sein.


15.10.2021, Mainz

Sercan Öztürk


Verweise

BAMF (Hrsg.). (September 2021). Das Bundesamt in Zahlen 2020: Asyl, Migration und Integration. Nürnberg.


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