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Zugänge zu Sprachkursen im Netzwerk der Flüchtlingshilfe

Aktualisiert: 22. Juli 2020

Von Dr. Franz Hamburger *

Die Wirksamkeit des IBBO und seiner Sprachangebote ergibt sich aus der Position im Netzwerk der Flüchtlings-hilfe. In einer Stadt von der Größe Mainz´ bilden die verschiedenen Hilfsangebote ein vielfältiges, aber auch unüberschaubares Netz von Akteuren und Maßnahmen. Nach einer Erhebung der Koordinierungsstelle der Bildungsangebote für Neuzugewanderte bei der Stadtverwaltung Mainz gibt es im Dezember 2019 41 Integrations- und Berufssprachkurse, 30 Sprachkurs-angebote und 18 Angebote im Bereich Sprache. Die kommunale Verantwortung konkretisiert sich in gesetzlich fixierten Verpflichtungen, die korporatistische Vielfalt organisierter Träger der Wohlfahrtspflege ist eng mit der kommunalen Auftragsvergabe verbunden, und die Szene der ganz freien Initiativen des bürgerlichen Engagements füllt die verbleibenden Lücken des Systems aus. Diese Vielfalt ist für geflüchtete Menschen nicht überschaubar und die Lücken sind aus der Perspektive der geflüchteten Menschen oft die lebensweltlich relevanten Ausschnitte. Der Zugang zu den Angeboten bleibt dem Zufall überlassen oder folgt den Pfaden, die Bekannte oder Verwandte schon einge-schlagen haben. Wirksamkeit und Qualität, „Passgenauigkeit“ und Nachhaltigkeit sind in dieser gesellschaftlichen Lage keine isolierten Größen, sondern verknüpft mit der Integration des jeweiligen Trägers oder der Initiative in die Kommunikationsstrukturen des Netzwerks.

Anfang April ging zum Beispiel eine Anfrage von save me bezüglich Deutsch lernen ein. Die telefonische Rückfrage ergab, dass der Anfragende von einem anderen Mitglied von save me kontaktiert worden war wegen einer Nachfrage nach Sprachangeboten. Diese in der ehren-amtlichen Arbeit sehr engagierte Frau war wiederum von einer Mitarbeiterin eines Wohl-fahrtsverbandes angeschrieben worden.

Diese war auf der Suche nach einer Unterstützung für zwei geflüchtete Frauen, die Deutsch lernen wollten. „Liebe Frau B., zwei Klient*innen von mir würden sehr gerne die Gelegenheit der Quarantäne nutzen, um zuhause Deutsch zu lernen. Die erste ist Afghanin und Analphabetin. Das heißt, sie bräuchte im Prinzip ein Online - Angebot, in dem hauptsächlich gesprochen wird. Da ich auch nicht weiß, ob sie einen PC hat, wäre es gut, wenn es dies auch für Handy gäbe. Die zweite kommt aus Pakistan und spricht schon ein bisschen deutsch. Sie sucht entweder ein Programm zum besser sprechen lernen (PC oder Handy) oder konkret jemanden, der telefonisch mit ihr übt. Falls Sie selbst Ideen haben oder Tipps, wohin ich mich deshalb wenden kann, freue ich mich sehr. “ Eine hauptamtliche Mitarbeiterin eines Wohlfahrtsverbands erkundigt sich also bei einer ehrenamtlich Tätigen nach einem Sprachangebot! Diese wiederum richtet sich an den Koordinator des Netzes von Ehren-amtlichen.

Am nächsten Tag erhielt der Koordinator von save me die Information über das im IBBO bestehende Angebot und einen konkreten Hinweis auf ein in Kürze beginnendes Angebot für Spracheinsteiger:

„So sehen momentan unsere Online-Angebote aus.

Beratung per Telefon / Onlineangebote im IBBO:

Berufsberatung, Bewerbungsunterlagen und bei Fragen zum Aufenthaltsrecht montags und donnerstags von 14 bis 16 Uhr Ansprechpartner: Sergey Sabelnikov per Telefon 0157 30616192 oder Email s.sabelnikov@oefo.net Nachhilfe online.

Ansprechpartner Sergey Sabelnikov: per Telefon 0157 30616192 oder Email s.sabelnikov@oefo.net Telefonische Sprechstunde montags von 12 bis 13 Uhr

Ansprechpartner: Dr. Karoline Pietrzik 0157 38293724 IBBO-Online-Begegnungscafe über Skype montags von 15 bis 16:30 Uhr Link zur Anmeldung: https://join.skype.com/iQTT8WbuckuS Ansprechpartner: Dr. Karoline Pietrzik ibbo@oefo.net

Telefonische Sprechstunde montags und dienstags

Integrationshelfer Yama Barna 0177 3573955“

Mit diesen Informationen war der Wissenshunger des save me -Koordinators nicht gestillt:

„Deine Infos zu Deutschkursen schicke ich an unseren Deutsch-Lern-Treff weiter und schlage ihnen vor sich mit Dir zum Austausch in Verbindung zu setzen.

Kannst Du mir bitte noch Hinweise auf kostenlose Deutschlerninternetangebote A2 bis B1 Niveau schicken?“

Die Antwort aus dem IBBO kam prompt: „Vielen Dank. Das ist super, mach das gerne.

Anbei ein paar Links zum Deutschlernen

Gleichzeitig hat die Mitarbeiter in des IBBO direkt an die Mitarbeiterin des Wohlfahrtsver-bandes gemailt: „Sehr geehrte Frau M., A.G.D. hat mir Ihre Anfrage bezüglich der zwei Damen, die Deutsch lernen wollen, weitergeleitet. Sie können mir die Kontakte der beiden Frauen gerne weiterleiten.

Ab den 20.04. beginnt bei uns ein A1-Kurs. Er ist zwar als Präsenzveranstaltung geplant, aber ich denke, dass wir auf online umswitchen werden müssen. Ich frage auch die Lehrerin, ob sie bereit wäre schon früher mit den Damen online zu üben, vor allem zu sprechen. Im Anhang finden Sie den Flyer für den A1-Deutschkurs mit den Kontaktdaten der Lehrerin.

Mein Kollege Yama Barna (Integrationshelfer aus Afghanistan) bietet per Skype Alphatraining an. Die Dame aus Afghanistan könnte ihn auch direkt kontaktieren.

Mit freundlichen Grüßen“

Kurze Zeit später kam die Reaktion der Mitarbeiterin: „ganz herzlichen Dank für die raschen und sehr konkreten Infos. Bei der einen Klientin (Pakistanin) handelt es sich tatsächlich um die Schwester einer Klientin – ich werde der schon besser deutsch sprechenden Schwester die Kontaktdaten zuleiten. Bei der afghanischen, sehr schwer belasteten Klientin muss ich erst noch in Erfahrung bringen, ob sie sich vorstellen könnte mit einem Mann zu skypen. Außerdem muss ich noch erfragen, ob Skype für sie möglich ist. Noch einmal ganz herzlichen Dank und viele liebe Grüße an Herrn B!“Die Reaktion aus dem IBBO: „das war jetzt ein lustiger Informationsbumerang. Die ältere Schwester ist meine C1-Schülerin.“

Bei der genaueren Klärung der spezifischen Bedarfe der beiden Frauen hat es sich also herausgestellt, dass die eine geflüchtete Frau, die die Mitarbeiterin des Wohlfahrtsverbandes um Unterstützung für ihre Schwester gebeten hatte, bereits einen C1-Kurs im IBBO besuchte. Da sie sich wegen der noch sehr unzureichenden Sprachkenntnisse ihrer Schwester genierte im Kontext ihres eigenen Fortgeschrittenenkurses nachzufragen, war ihr Anliegen zunächst in das Kommunikationsnetzwerk in der Stadt diffundiert. Jetzt war es angekommen und es konnte ein passendes Angebot gefunden und verabredet werden.

Das Beispiel zeigt, wie das Netzwerk der Hilfen für Flüchtlinge funktioniert. Seine Struktur ist den Engagierten bekannt und sie können es nutzen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ehrenamtlich oder hauptamtlich tätige Personen handelt. In beiden Gruppen gibt es viele, die sich nur auf ihren begrenzten Handlungsausschnitt konzen-trieren und darüber hinaus gehende Möglichkeiten für ihre Klienten nicht oder nur mit erheblichem Aufwand nutzen können. Die schriftlichen Informationen, beispielsweise der Koordinierungsstelle der Bildungsangebote für Neuzugewanderte, der Flüchtlings-koordination bei der Stadtverwaltung oder einer Beratungsstelle beim Diakonischen Werk über die Beratungsangebote in der Stadt Mainz und im Landkreis Mainz-Bingen, können den beruflich und engagiert ehrenamtlich Tätigen helfen. Aber die stetige Fluktuation bei den Angeboten und die Differenziertheit der Angebote für unter-schiedliche Zielgruppen und mit verschiedenen Schwerpunkten erfordern anhaltende Aktivitäten der Informationsbeschaffung und der Sortierung. Erst dann können diese Informationen rasch und zielstrebig genutzt werden. Dass im geschilderten Fall die „Profis des Ehrenamts“ erst eine Umfrage starten müssen, bevor sie eine Anfrage beantworten können, zeigt die Problematik – und ihre Lösung – ganz anschaulich.

Um die Tätigkeit der Mitarbeiterin im IBBO wiederum einschätzen zu können ist es bedeutsam darauf zu achten, wie rasch sie auf Anfragen antworten kann, wie breit sie das Informationsangebot gestalten kann, so dass der Anfragende gleich ein gewisses thematische Spektrum offeriert bekommt und wie auskunftsfreudig gegenüber dem Anfragenden auftritt. Denn der Anfragende benötigt ebenfalls einen erheblichen Teil seiner Arbeitszeit für Informations- und Kommunikationsmanagement. Weil der Anfragende Resonanz auf seine Anfrage erhält, also nicht nur eine Information oder einen Hinweis, sondern auch die Bereitschaft zu einer gemeinsamen Problemlösung spürt, bewertet er die Reaktion der Antwortenden entsprechend, wird sie wieder anfragen und wird ihre Kommunikationsbereitschaft im Netzwerk signalisieren. Das führt dann zu weiteren Anfragen im IBBO. Seine Tätigkeit wird dadurch fruchtbar, im kritischen Falle und bei begrenzten Ressourcen wird es kommunikativ überlastet.

Deutlich wird an dem Beispiel auch, dass die geflüchteten Menschen die Struktur des Netzwerkes nicht überschauen können, denn ihr lebensweltliches Interesse bezieht sich auf die Bewältigung von Alltagsproblemen. Die riesige Menge von Broschüren und Informationsblättern, besonders gern auf Hochglanzpapier, die in vielen Programmen produziert werden, ist in der Regel ohne persönliche Vermittlung nicht geeignet, die lebensweltliche Problemstelle zu erreichen.

Und nur bei einer so wie in diesem Text versuchten detaillierten Schilderung des Ablaufs kann sichtbar werden, mit welchen Aufgaben es die Flüchtlingshilfe zu tun hat und wie „Qualität“ entsteht.


*Prof. i.R. Dr. Franz Hamburger, Vorstandsmitglied der ÖFO e.V.



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